Gar vielfältig sind die Auffassungen über dieses geistig-religiöse Schauspiel, das sich alljährlich am Pfingstdienstag in den Strassen der alten Abteistadt Echternach abwickelt. Jene, deren Seele noch geistigen Werten zugänglich geblieben ist, erkennen in der Springprozession eine „Manifestation des Glaubens, einen tiefernsten Bussgang« . Der Wissenschaftler sieht in ihr einen der „seltsamsten Gebräuche, die sich aus heidnischer Zeit in die christlichen Überlieferungen hinübergerettet haben« . Viele Zeitgenossen haben jedoch für religiöses Brauchtum kaum noch Verständnis und finden für dieses christliche Tanz-Drama höchstens ein spöttelndes Lächeln.
Wie und wann immer diese Wallfahrt aufgekommen sein mag, sie war und ist ein Ritual des Betens und Bittens, des Lobens und Dankens an den Herrn über Leben und Tod. Das Geistige an ihr kann nicht abgestritten werden. Treten auch manchmal weltliche Einflüsse störend auf, so bleibt dennoch gewiss, dass die meisten Pilger aus reinem Herzen kommen und springen und eins sind im Glauben des Heiligen, der seit 12 Jahrhunderten im Mittelpunkt der Stadt und Abtei Echternach steht. Diese Prozession ist tatsächlich ein Fest der Seele geblieben und wird nach wie vor von einer tiefen religiösen Idee beherrscht.
So aber ist der Gang der Geschichte dieser einzigartigen Wallfahrt:
Urkunden
„Ergo Irmina … Ich Irmina, Äbtissin von Oeren, schenke auf Rat der Trierer Bischöfe Basin und Leodovin und mit Zustimmung meiner Mitschwestern, unserm Wohltäter, dem Erzbischof Willibrord, meinen väterlichen und mütterlichen Erbanteil an der Villa Epternacus mit den Kirchen und dem Klösterchen daselbst, dazu meinen Besitz zu Badelingen, Matzen und Osweiler, sowie den Weinberg nebst Winzer zu Vianden. » Trier, an den Kalenden des Novembers im Jahre 697 … „Alleluja! Dies sanctificatus! Ein geheiligter Tag ist erstanden über der Villa Echternach! Betet den Herrn an, denn dieser Tag wird eingehen in die Geschichte. » „In Christi nomine übernehme ich, Clemens Willibrordus, episco pus, aus Ihren Händen, o gottgeweihte Äbtissin, die villa Epternacus und deren Dependenzien, mit Hilfe Gottes und seiner Heiligen werde ich aus ihr einen Stützpunkt in der Bekehrung der Heiden und eine Hochschule christlichen Denkens machen … »
Es war die Zeit Pippins von Heristal. In seinen Händen lag die g-samte Leitung des Frankenreichs. Durch den Sieg über Radbod, König der Friesen, war auch das südlich des Rheins gelegene Friesland fränkisch geworden. Im Herbst des Jahres 690 war Willibrord aus England kommend, mit 11 Gefährten an der Mündung des Alten Rheins gelandet. Er wollte die Bekehrung der Friesen vornehmen. Von Radbod in seiner Missionstätigkeit gehemmt, suchte Willibrord notwendigerweise Schutz und Unterstützung bei Pippin. Mit dessen Zustimmung ging er später nach Rom zu Papst Sergius. Als er dort zum Erzbischof geweiht worden war, gab Pippin ihm die Stadt Utrecht als Metropole. Die Gemahlin Pippins, Plectrudis, ist eine nahe Verwandte der Trierer Äbtissin Irmina gewesen und es ist mit Sicherheit anzunehmen, dass Willibrord durch Pippins Vermittlung in Verbindung mit Irmina kam. Zwar begründete Irmina ihre Schenkung: „Wegen der vielen, meinem Kloster erwiesenen Dienste, besonders aber weil er eine böse Seuche bannen konnte, die schon viele Lücken in den Kreis meiner Mitschwestern geschlagen hatte … » In Wirklichkeit aber ging es den Pippiniden um die Errichtung einer Art Familienabtei auf ihrem Grund und Boden. Armselig waren die beiden Kirchen und das Klösterchen, das bisher den wandernden Schottenmönchen gedient hatte. Willibrord liess sie vergrössern und schuf jene merovingische Kirche, deren Chorraum man erst in unserer Zeit entdeckte. Die junge Stiftung gewann rasch an Wert und Bedeutung. Willibrord zog durch die Gegend, predigte, segnete, weihte Kirchen ein, nahm weitere Schenkungen entgegen …
- 1.Juli 699: Die Äbtissin Irmina schenkt dem Erzbischof Willibrord für sein, von ihr errichtetes Echternacher Kloster und die Kirchen daselbst, alle zur Feier des Gottesdienstes notwendigen Gegenstände in Gold, Silber, Edelsteinen, kirchliche Gewänder und Geräte.
- 8.Mai 704: Die gottgeweihte Irmina, Äbtissin, schenkt Willibrord all ihren Besitz zu Steinheim an der Sauer.
- 13. Mai 706: Herzog Pippin und Gemahlin Plectrud schenken dem auf ihrem Familiengut zu Echternach errichteten Kloster ihren, ihnen von Theodorad, dem Sohn des Herzogs Theotar, übermachten Anteil, die Hälfte dieser Villa, die sie mit Irmina zu gleichen Teilen besassen Sie verleihen den dortigen Mönchen nach dem Ableben Willibrords freie Abtswahl und nehmen das Kloster in ihren und ihrer Erben besonderen Schutz.
- 23. Februar 718: Karl Martell schenkt dem Kloster Echternach seinen Erbanteil an Bollendorf.
- Anno 721: Die gottgeweihte Barta schenkt dem Kloster Echternach die Villa Schankweiler an der Prüm mit allem Zubehör.
Die Legende
Die Legende Über die Koppen der rauhen Eifel, durch die Forste des Bidgaues, auf schwierigen Pfaden des Prümtales mühen sich Benediktinermönche aus dem Echternacher Kloster. In Walovilla, dem heutigen Waxweiler, machen sie halt und rufen die erst kürzlich gegründete Christengemeinde zum hl. Messopfer in die kleine Holzkirche. Doch nur wenige Einwohner folgen. Währenddessen führen Männer und Frauen des Dorfes auf dem Friedhof vor der Kirche heidnische Reigentänze auf. Das Stampfen der Füsse, das Klatschen der Hände, das Gejohle, das Lärmen und das Hohngelächter der Tanzenden überdröhnen die kirchlichen Gesänge. Es tritt da einer der Mönche, und zwar Willibrord selbst, aus der Kirche und ermahnt in heiligem Eifer die Leute, die Teufelsreigen doch endlich einzustellen. Vergebens, die Leute setzen ihre Tänze in ausgelassenster Weise fort. Wieder übertönen die Dudelsäcke, die Pfeifen und die Beschwörungslieder die Gebete und Gesänge in der Kirche. Abermals tritt der Abt heraus und ruft: „Seid ihr getauft, so lasst ab von diesem Teufelsdienst! Kniet nieder, dass ich euch segne und folget mir zur hl. Messe in eure Kirche. » „Geh, du Echternacher Mönch, lass uns der Väter alte Sitten« , so schallt es ihm entgegen, halb spöttisch, halb trotzig. Frenetischer als zuvor hoben sie wieder zum Reigen an. Es scheint dem Mönch als luge die Fratze des Teufels aus den Gesichtern. Er ereifert sich wieder und ruft zürnend aus: „So springet denn und tanzet ohne Unterlass, wenn ihr nicht wollt lassen von dem Satanswerk! » Die Männer und Frauen lachten und lärmten kühn. Sie tanzten und sangen weiter zum Hohn, sie johlten und riefen den weggehenden Mönchen vermessene Worte nach. Ihr Tanzen aber nahm kein Ende. Immer wilder und ungestümer wurde der Reigen. Die Leute sprangen und hüpften wie besessen, sie spürten einen unheimlichen Zwang zum Tanzen, sie merkten mit einmal, dass sie nicht mehr aufhören konnten, dass ihr Wille wie gelähmt war. Es war eine Qual, ihnen zusehen zu müssen, ihre Gesichter waren durch furchterregende Grimassen entstellt, ihre Glieder zuckten konvulsiv, es war die reinste Raserei. Aber sie tanzten weiter, sie unterlagen einem ungeheuren Zwang. Da erkannten alle den Fluch des Echternacher Mönches. Es liefen die Angehörigen der Tänzer ihm nach, fielen ihm zu Füssen und baten um Wegnahme des Bannspruches. Aber, Willibrord liess sie so leicht nicht los. Er befahl den Tänzern, nach Echternach in seine Klosterkirche zu busspilgern.
So sprangen sie den Mönchen nach bis in die Abteistadt an der Sauer. Dort, in der Kirche tanzten sie nun in heiliger Andacht zur Busse bis sich Willibrord ihrer erbarmte und ihnen die Hände auflegte. Der Fluch verschwand, der Segen wirkte und die Tanzplage hörte auf. Gesund kehrten alle nach Waxweiler zurück und die Einwohner der Eifel beugten sich restlos dem Christengotte und fügten sich endgültig den Echternacher Mönchen. Seither sollen die Waxweilerer alljährlich nach Echternach gekommen sein.
Wallfahrten
Im Jahre 739 starb der hl. Willibrord. Der Mönch Alkvin, der Verfasser der Vita Willibrordi, schreibt dazu:
„Am 6. Tag im November wanderte er aus dieser Pilgerschaft zur ewigen Heimat und ist begraben im Kloster Echternach, welches er selbst Gott errichtet hatte. Dort geschehen bis auf den heutigen Tag durch die Kraft der Barmherzigkeit Gottes unausgesetzt Wunderzeichen und Heilungen an den Reliquien des heiligen Priesters Gottes. «
Dreihundert Jahre später beschreibt der Echternacher Abt Thiofridus viel ausführlicher die Prozession:
„Es kommt in der Pfingstwoche nicht nur aus den benachbarten Gegenden nach ewigem Ritus und gleichsam unauflöslichem, unverletzlichem und von Geschlecht zu Geschlecht überliefertem Gesetze, ein unzähliger Priester- und Volkszusammenfluss mit Opfergaben und Litaneien unter grösster Andacht zu den Schwellen des Heiligen, wegen der von den Vätern den Söhnen erzählten Wunder, welche bei der Feierlichkeit alljährlich sich ereignen. Bei seinem Grabe geschehen unzählige Wunder und Zeichen, die aber nicht immer einen Schriftsteller finden, um sie der ewigen Vergessenheit zu entreissen. Dass aber ungemein viele Wundertaten hier geschehen, bezeugen die vielen Exvotos oder Gedenkzeichen, die im Vorhofe der Kirche und des Klosters aufgehängt sind : eiserne Ketten, die an den Gliedern der Sünder auf die Fürbitte des Heiligen zersprengten, Hand- und Fussfessel, womit die Sklaven gefoltert wurden; ferner Krücken, Stützen von Kranken und Bresshaften und allerlei in Wachs geformte Glieder, dass kaum ein mit einem Joch bespannter Wagen sie hätte fortbringen können.«
Die Prozession nach Echternach ist also seit dem Tode des hl. Willibrord nachweisbar, ob es sich aber gleich im Anfang bereits um eine Springprozession handelte, bleibt ungewiss. Immer grösser wird die Bedeutung und Zahl der Pilger: Kaiser, Könige, Bischöfe, Reichsfürsten, Edelleute, Bauern, Knechte … Um das Jahr 980 besuchte Kaiser Otto II. das Grab des hl. Willibrord und schenkte bei dieser Gelegenheit dem Kloster einen kostbaren Evangelienkodex. Er bestätigte ferner die dem Kloster von seinem Vater Otto I. verliehenen Rechte, nahm es in seinen und seiner Nachfolger Schutz und verlieh den Mönchen freie Abtswahl. Im Jahre 1031 ist die Kaiserin Gisela, Gemahlin Konrads II. nach Echternach gewallfahret. In einem Kodex aus dem Xl. Jahrhundert heisst es von den Orten Kyllburg, Feulen, Mersch, Reckingen, Einelter, Sterpenich und etlichen andern: „Am dritten Feiertag zu Pfingsten besuchten sie mit ihrem Pfarrer den heiligen Patron. » Im Jahre 1131 erhielt die Abtei den Besuch Kaiser Lothars III. Er war gekommen, um die Fürbitte des hl. Clemens Willibrord anzurufen. Im Jahre 1145 trafen sich in Echternach Kaiser Konrad III. und Albero von Montreuil, Erzbischof von Trier, um gemeinsam die Pfingstfeierlichkeiten zu begehen. Anno 1247 verlieh Papst Innozenz IV. allen Echternacher Pilgern einen vierzigtägigen Ablass zur Hebung der Wallfahrt zum Grabe des hl. Willibrord und „wegen der vielen und grossartigen Wunder, die Gott auf Fürbitte seines Heiligen in Echternach geschehen lässt. » Im Jahre 1273 kam der Trierer Erzbischof Heinrich nach Echternach und verlieh den Pilgern für die Wallfahrt in der Pfingstoktave einen Ablass von 40 Tagen.
Der Bericht hierzu steht in den „Antiquitates et Annales » von Browerus:
„Aus den umliegenden und auch entfernten Gauen kommen Bauern, die ein Gelübde getan haben, zu dieser Feierlichkeit, die durch Tanzen geschieht. Zusammengekommen bei der Sauerbrücke werden sie von einem Priester in einer Predigt ermahnt. Dann beginnen die Männer ohne Unterschied des Alters den mühevollen Gang zum Schall der ländlichen Flöten, führen Chöre gemischt mit Dreisprüngen auf, dies mit einem solchen Gefühl der Verehrung und Frömmigkeit, dass die Zuschauer, erbaut durch dieses einfache und aufrechte Glaubensbekenntnis, demütig zu Boden knien oder mit dem königlichen Propheten vor dem Herrn aus Leibeskräften tanzen. Es ist auch eine bekannte Sache, die viele sich als Knaben von ihren Vorfahren erzählen liessen, dass den Bauern das Vieh in den Ställen aufgehüpft und gesprungen sei, weil sie ihr Gelübde, jährlich die Springprozession feierlich zu begehen, nicht geachtet hätten ,und dasselbe nicht wieder zur Ruhe gekommen sei, bis sie von neuem das Gelübde, fürderhin wieder den heiligen Tanz auszuführen, gelobt hätten. Die Sitte dauert auch heute noch fort, nicht nur in der Stadt Echternach, sondern auch in Prüm, wo alljährlich am Tage nach Christi-Himmelfahrt eine gleiche feierliche Bitt- und Tanzprozession abgehalten wird.«
Tanzplagen
Kaum hatte die Pest (1348) nachgelassen und hatten sich die Flaggellanten verzogen, überfiel eine neue Seuche die armen, bereits zermürbten Menschen: die Tanzplage! Man hatte es hier mit wirklichen Erkrankungen zu tun, ob nun die Ursache in Massenvergiftungen (Mutterkorn?) lag oder durch sinnliche Reize der Geist erschüttert worden war. Es sind auch früher bereits Tanzerkrankungen vorgekommen, im Jahre 1374 aber trat die Tanzwut in grossem Massstab in Erscheinung. Die Chronik berichtet: „Schon im Jahre 1374 sah man in Aachen Scharen von Männern und Frauen aus Deutschland ankommen, die vereint durch gemeinsamen Wahn in denStrassen und in den Kirchen stundenlang in wilder Raserei tanzten…« . Gemäss der „Belgicarum Chronicon«
erschienen in jenem Jahr in Lüttich, Utrecht, Tongern und in vielen andern belgischen Städten die Johannistänzer mit Kränzen im Haar. Die „Chronica van der hilligen Stat Coellen anno Domini 1374 » berichtet:
„In demselben Jahr stonde ein grosse Krankheit up under den Menschen, das war Raserei oder Sinneskrankheit. Sie tanzten und sprangen in Kirchen und Klöstern und sangen dabei:Herre Sankt Johann, so so,
Frisch und froh,
Herre Sankt Johann!"
In der „Limburger Chronik » steht:
„Anno 1374 mitten im Sommer, da erhub sich ein wunderlich Ding auf dem Erdreich und sonderlich in Teutschen Landen, auf dem Rhein und an der Mosel, also dass Leuthe anhuben zu tantzen und zu rasen. » Auch eine Chronik aus Trier spricht von Wut und Verrücktheit, die viele Menschen ergriffen hätten.Die Seuche verschonte keine Stadt in den Rheinlanden und an der Mosel. Immer waren es die gleichen Symptome, die gleichen Tänze, die
gleichen Gesänge. Und jeder glaubte, diese Tänzer seien von bösen Geistern besessen, gegen die nur Beschwörungen helfen könnten. Man betete um Heilung zum hl. Johannes dem Täufer. Im Jahre 1418 wurde
Strassburg von der Tanzseuche heimgesucht.In der Chronik steht geschrieben:
„Viel hundert fingen zu
Strassburg an zu tanzen und zu springen, Frau und Mann, Am offenen
Markt, Gassen und Strassen, Tag und Nacht ihrer viel nicht assen Bis
ihnen das Wüthen wieder gelag, Sankt Vits Tanz ward genannt die Plag! »
Sankt-Veits-Tanz ward genannt die Plage. Sankt Veit oder Vitus wurde nun gegen diese Erkrankung angerufen. Seit man erkannt hatte, dass die Musik die Kranken stark erregte und den Anfall beschleunigte, mieteten die Stadtobrigkeiten, nachweisbar jene von Strassburg, Musikanten, die den Tanzsüchtigen aufzuspielen hatten. Daneben wurden kräftige Männer angestellt, um mit den Erkrankten zu springen und um deren Erschöpfung und anschliessende Heilung schneller und wirkungsvoller herbeizuführen.Später trat dieser Tanz nicht nur als Krankheit in Erscheinung, sondern wurde allgemein als Vorbeugungsmittel gegen die Tanzsucht benutzt. Man glaubte tanzen zu müssen, um durch freiwillige Übernahme solchen Übels, dem Zwange desselben zuvorzukommen. Springende Büsser In jenen Zeiten erhielt die Echternacher Wallfahrt den noch heute
bestehenden Charakter einer Buss-und Sühnefahrt. Der Zustrom der Pilger nahm zu. Die Leute machten Gelübde und versprachen Opfer. Manchmal konnten sie selbst nicht nach Echternach wallfahren und sandten Stellvertreter, die für sie alle Mühen und Strapazen des Weges auf sich nahmen.
Ein Brauch, der sich bis in unsere Zeit erhielt, kam auf: das Verdingen! Im Jahre 1512 unternahm Kaiser Maximilian von Trier aus in Begleitung vieler Reichsfürsten eine Wallfahrt zum Grabe des hl. Willibrord. Er verbrachte zwei Tage und zwei Nächte in der Echternacher Abtei und wohnte der Springprozession bei. Das um das Jahr 1602 von dem holländischen Maler Antoine Stevens angefertigte Gemälde, das noch heutein einer Seitenkapelle der Basilika zu sehen ist, zeigt die Darstellung jener Pfingstbegebenheiten. Ein anderes wichtiges Dokument ist ein Echternacher Scheffenweisthum aus der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts: „Und uff Pfingstdienstag soll der Richter den Gerichtsboden den Kosten geben wann sie die Springheiligen inngeführt haben.
« Der Trierer Jesuit Browerus zählt an die 600 Pfarreien auf, die sich als Gelübde vorgenommen hatten, am Pfingstdienstag nach Echternach zu gehen und in der Prozession der „Springenden Heiligen » mitzutanzen. In Waxweiler war aus „christlichem und uraltem einstiften eine person die Bittfahrt nach Echternach laut scheffen Weisthumbe zu leisten schuldig. »
In Echternach angekommen, musste jede Pfarrei Kreuz und Fahne im Kloster abliefern und sie später gegen Abgabe des geschuldeten Zehnten wieder einlösen. Das nannte man „crucem solvere », die „Kreuze lösen ». Nach der Prozession versammelten sich die Pilger im Hofe der Abtei und
erhielten unentgeltlich vom Abte ihren Anteil an Wein und Brot. Danach begann die Heimreise.Im Jahre 1595 wurde Johannes Bertels Abt der Echternacher Klostergemeinde. Er ist der Mann, der die erste Geschichte des Luxemburger Landes schrieb. Mit keinem Wort aber erwähnt er darin die Echternacher Springprozession,obschon sie ja nachweisbar, damals schon lange bestanden hat. Recht sonderbar, dieses Schweigen! War es so, dass er nicht des Aufschreibens wertachtete, was alle kannten? Oder lehnte Bertels persönlich die Springprozession ab? Oder wollte er nicht das Augenmerk seiner Obrigkeit auf diese sonderbare Andachtsform lenken, die damals vielleicht mit Unzulänglichkeiten behaftet war? Zu einer Zeit, da fast alle Konzile noch Verbote gegen die Tänze in den Kirchen und auf den Kirchhöfen erliessen, schien es nicht angebracht gewesen zu sein, eine grosse Propaganda um die Springprozession zu machen. Man konnte sie höchstens dulden und dies bedingte ein gewisses Schweigen. Immerhin wissen wir von einem energischen Ermahnungsschreiben Bertels vom 5. August 1603 an einige Pfarrer, dass die Pfarrkinder dem von den Vorfahren gemachten Gelübde, nach Echternach zu kommen, pünktlich nachfolgen müssten.
Widersetzlichkeiten
Mehr und mehr suchten sich die Pfarreien von den ihnen auferlegten Pflichten zu befreien. Wahrscheinlich gefiel ihnen der lange Anweg nicht mehr, weniger noch die Ablieferung des Zehnten. Als Ursache des Fernbleibens gaben sie die Missbräuche an, die sich leider bei der Prozession eingeschlichen hatten. So reichten im Jahre 1672 die Pastoren von Waxweiler, Seffern, Rittersdorf, Bickendorf, Pronsfeld und Lichtenborn dem trierischen erzbischöflichen Ordinariat ein Bittgesuch ein, worin sie um Dispens oder Umänderung der allzubeschwerlichen Votivprozession nach Echternach ersuchten. Interessant ist hierbei die Bestimmung des Zeitpunktes: „Unsere Ahnen sind schon vor d r e i h u n d e r t Jahren oder auch länger noch, nach Echternach gewallfahret, ob dies aus Gelübde oder aus langer Gewohnheit herrühre, darüber können wir nirgends etwas ausfindig machen. » 300 Jahre vor 1672, das ergibt die Zeit der Tanzseuchen! Im Grunde ging es den Eifeler Pfarreien um die Loslösung von der feudalen Abhängigkeit und um die Lockerung der kirchlichen Bindungen an Echternach. Die Mönche wehrten sich und verteidigten ihre Prozession: „Sie ist uralt, sie geniesst auf der ganzen Welt höchste Achtung!. Humpelnde Greise sind bei der Springprozession wenig erwünscht. Nur die jüngeren Elemente sind den enormen Strapazen des stundenlangen Springens in den holperigen Gassen gewachsen. An den Pfarrherren ist es, die Angehörigen des weiblichen Geschlechtes zu bewegen, daheim zu bleiben, da es ihnen doch nicht gestattet ist, an der Springprozession selbst teilzunehmen. Jedes Haus hat kraft des bestehenden Gelübdes, einen Vertreter zu entsenden, der verpflichtet ist, in Echternach mitzuspringen, und daher männlichen Geschlechtes sein muss! »
Über den Erfolg dieser Bittschrift liegt in den Archiven nichts vor. Wahrscheinlich wurden keine Pfarreien von der Wallfahrt nach Echternach entbunden. Nichtsdestoweniger unterliessen es einzelne Familien, das Getreide abzuliefern das zu jeder Prozession zu leisten war. Während und nach dem Dreissigjährigen Kriege begann sich die Disziplin wirklich zu lockern. Vielen Gesuchen um Dispens wurde stattgegeben, unter der Bedingung, dass wenigstens eine kleine Abordnung jährlich an der Wallfahrt nach Echternach teilzunehmen habe.
Am 17. Juni 1696 sprach der Trierer Erzbischof Hugo von Orsbeck von einer baldigen Abschaffung der Springprozession. Willibrordus Cuno, Abt der Luxemburger Münsterabtei nahm die Prozession in Schutz und konnte den Trierer beschwichtigen. Im Jahre 1721 kam der Kurfürst von Trier, Franz Ludwig nach Echternach, um sich die Sprinprozession anzusehen. Er versprach dem Abte Mathias Hartz, dem Kaiser Karl VI. von dieser „ehrwürdigen und nirgendwo sonst in der Kirche gebräuchlichen und mit seltener Frömmigkeit geübten Andacht » zu berichten.
Im Jahre 1743 schrieb Jean Bertholet aus Vielsalm:
„Die Springprozession ist eine bizarre und aussergewöhnliche Sitte aus alter Zeit. Sie besteht in der Wallfahrt verschiedener Pfarreien aus der Eifel und den benachbarten Kantonen, die nach Echternach kommen, eine jede mit Kreuz und Fahne. Hier angelangt führen die Pilger eine Art Tanz auf, wobei man sie drei Schritte vorrücken und zwei Schritte zurückspringen sieht.«
Dom Calmet schrieb in seiner „Histoire de la Lorraine« :
„Die guten Pilger tanzten mit einer solchen Andacht und Einfachheit, dass die härtesten Sünderherzen erweicht und erschüttert wurden.«
Verbote
Es brach herein die Aufklärungszeit. Leider hatten sich auch ärgerliche Missstände in die Prozession eingenistet und so glaubten aufgeklärte Elemente, diesen Aberglauben nicht mehr hinnehmen zu dürfen. Bei dem Trierer Kurfürsten Clemens Wenzeslaus fanden sie ein williges Ohr. Am 29. April 1776 übertrug er dem Weihbischof von Trier, J. N. von Hontheim, die Aufgabe, sich mit dem Präsidenten des Provinzialrates zu Luxemburg über die Abschaffung der eingerissenen Übelstände und abergläubigen Gebräuche zu verständigen. Am 30. Mai 1776 antwortete Hontheim: „es ist wohl vorzusehen, die Sache werde in ansehung der ungemeinen noch immer anwachsenden, durch das gantze Land ausgebreiteter Vorgenommenheit des Volkes nicht ohne grosse beschwärlichkeit abgehen. In diesem Jahr bestunde die tantzende procession mehr als auss vier tausend Köpfen. Eine merckliche anzahl gewaffneter mannschaft dörfft kaum in stand seyn dem enthusiasmo zu widerstehen. »
Im Mai 1777 beschwerte sich Hontheim bei Wenzeslaus, dass er sich bisher vergebens an den Ratspräsidenten in Luxemburg „um die Abstellung der Abergläubigen tantzenden Procession zu Echternach » gewandt habe. Erst am 18. Dezember 1777 erfolgte die erzbischöfliche Verordnung: „da nun die Procession durch das übliche Springen und Musizieren unschicklich ist und zu Aberglauben, wie auch durch das Tanzen Tages vorher und am Tage selbst in den Echternacher Wirtshäusern Tag und Nacht hindurch zu Trunkenheit, Streit, Tumulten und andern Übeln und Exzessen Anlass gibt, so soll vermittels unserer erzbischöflichen Gewalt sowohl das bei derselben übliche Springen, wie auch alles Musizieren abgeschafft, untersagt und verboten sein, unter Strafe der Untersagung der Procession selber, damit diese feierliche Zeremonie zu einem Akte der Frömmigkeit werde. »
Mit der Anwendung dieser Verordnung aber hatte es gute Weile, denn die Pfarrer waren nicht beflissen, sie von der Kanzel herab zu verlesen. Zwar fügten sich im Jahre 1778 die Mönche und Pfarrgeistliche, das Volk aber sprang immer noch privatim oder in einzelnen Gruppen vom linken Sauerufer bis zur Basilika. Man kümmerte sich damals, wo es noch keine Polizeiaufsicht im heutigen Sinne gab, wenig um kurfürstliche, erzbischöfliche oder kaiserliche Dekrete. Auf Anordnung Joseph II. wurde die Springprozession am 10. Mai 1786 endgültig untersagt. Doch auch jetzt wehrten sich die Pilger. Im Jahre 1787 wollten die Stadtbehörden sie mit Gewalt an der Ausführung des Tanzes verhindern. Die Springer aber achteten der Verordnung nicht, und einem der Gesetzeshüter, namens Ensch, rief ein Echternacher zu:
„Wenn ich nicht im Springen wär, der Teufel tät dich holen ! »
Des Kurfürsten Eigensinn und des Kaisers Macht zerbrachen am Willen des Volkes. Im Jahre 1790 widerrief Joseph II. seine prozessions-feindlichen Gesetze und auch Wenzeslaus gestattete wieder die Springprozession. Der Frieden aber dauerte nicht lange. Am 7. August 1794 verliessen die Mönche das Kloster wegen der heranziehenden französischen Revolutionssoldaten. Mitte Oktober wurde die Abtei vorn Pöbel geplündert. Die Glocken verstummten. Das Grab des hl. Willibrord wurde geschändet. Im Jahre 1798 verhaftete man einen Pfarrer, der an der Spitze einer Bauernschar stand, die sich in Echternach zur Prozession versammelt hatte. Immerhin, wenn jemand aber ein Gelübde gemacht hatte, in Echternach zu springen, und dasselbe auszuführen wünschte, konnte er dazu von seinem Bürgermeister die Erlaubnis erhalten und diese bei den Echternacher Behörden bescheinigen lassen; worauf er dann den Bittgang privatim machen durfte. Es durfte jedoch die Zahl derer, die das miteinander taten, nie zehn oder zwölf übersteigen.
Nach dem Abschluss des Konkordates kamen am Pfingstdienstag des Jahres 1802 wieder die ersten Pilger offiziell nach Echternach. Die Basilika blieb jedoch gesperrt, da in ihr eine Faiencerie errichtet worden war. Ziel der Prozession ward daher die alte Pfarrkirche St. Peter und Paul auf dem Hügel. Wenn auch die Reliquien des hl. Willibrord fehlten, das Volk kam im alten Glauben und betete die alten Litaneien, sang die alten Lieder und sprang wie früher. Erst seit diesem Jahre ist auch die Beteiligung der Mädchen und Frauen erlaubt. In einem zeitgenössischen Bericht heisst es über die Wallfahrt des Jahres 1802:
„Der Zug war 2500 Menschen stark. Der Maire und die Gendarmen zogen an der Spitze. Die Ceremonienmeister liessen mit ihren Stöcken die Hüte der Zuschauer herunterlangen, die nicht schnelle genug im Abnehmen waren.«
Vielleicht lag es allein an der wohlwollenden Gesinnung des Unterpräfekten des 3. Arrondissement des Wälderdepartements, Willmar, wenn die Springprozession überhaupt wieder erlaubt worden war. Sein Ratschlag an die Vorgesetzten lautete, in kluger Weise sich von jedem direkten Eingriff fernzuhalten und aus dieser Prozession den grössten Nutzen für die Allgemeinheit und für die Stadt Echternach zu ziehen.
Später, unter der Herrschaft der Niederländer, mischten sich wieder einmal die Behörden in die Angelegenheit der Springprozession. Doch wie in alten Zeiten kamen die Pilger am Pfingstdienstag nach Echternach und sprangen gruppenweise von der Brücke bis zur Kirche. Im Jahre 1826 sollten sogar 34 Gendarmen den Tanz verhindern. Erst mit der belgischen Revolution des Jahres 1830 wurden die holländischen Dekrete rückgängig gemacht.
Resurrektion
Die unlebendige Denkweise der „sola ratio » verschwand und es erstarkte wieder das Interesse am religiösen Volksbrauchtum. In der Prozession selbst kam mehr wie je die Grundidee der Sühne und Bitte zum Ausdruck. Die meisten Pilger erflehen heute die Hilfe des hl. Willibrord gegen eine der furchtbarsten Krankheiten: gegen die Epilepsie, gegen die Fallsucht, gegen die „Chorea minot » oder den Veitstanz. Unser Volk kennt sozusagen kein schlimmeres Übel, deshalb nennt es diese Krankheit schlechthin „le mal caduc« , das „Leid ». „Ins Leid fallen » sagen die Leute aus der Eifel, und die Luxemburger einfach „an d’Kränkt fälen. » Durch die Teilnahme der Bischöfe und Äbte im Ornat, wurde der Feier das Siegel der kirchlichen Approbation aufgedrückt. Sie überdauerte die Einschränkungen und Verbote zweier Weltkriege und entwickelte sich in der Folge zu kaum geahnter Grösse und Schönheit.
Der Zuschauer vergisst Tag und Stunde und enkennt: Hier ist wahres Büssertum, hier ist schwerste Askese, hier schleppen sich wunde Menschen einem Heiligen zu, an dessen Wunderkraft sie restlos glauben. Einmal im Banne dieser Springprozession, möchte man immer wieder und immer weiterspringen. Man unterliegt einem Zwange. Das ist auch der Grund weshalb viele Echternacher ein zweites Mal in der Prozession mitspringen. Man kommt eben nur schwer frei aus dem Magnetfeld des grossen Geschehens. Neben den Echternacher Gruppen, erwecken die Eifeler Pilger den stärksten Eindruck. Es muss gesagt werden, sie wirken ernster und frömmer als die in leichten Kleidern tanzenden Echternacher. Da ich sie betrachte, ahne ich etwas von jener gewaltigen Not, die ihre Vorfahren vor langer Zeit zum Grabe des hl. Willibrord trieb. Was sich hier entfaltet ist nicht mehr der schwungvolle, fast freudige Tanz der Echternacher, sondern das schwerfällige, ergebene Hüpfen oder auch nur Schreiten von Menschen, die demütig und treu ihren alten Verpflichtungen nachkommen.
Ja, so ist es an jedem Pfingstdienstag in Echternach. Immer strahlt an diesem Tage die Stadt eine schier wunderbare Anziehungskraft aus und man wird wieder wie damals, als man als kleiner Junge voller Spannung und Eifer, voller Erregtheit und Verzückung dem grossen Ereignis entgegensah und sich mit kindlicher Inbrunst der Süsse wie der Schwere der Feierlichkeiten hingab. Aber heute ist noch etwas hinzugekommen: die Erkenntnis der geheimnisvollen Kräfte, die nun seit Jahrhunderten von dem Grabmal in der Krypta ausströmen und jedes Jahr unzählige Menschen anziehen und erlösen. Ist es nicht ergreifend und erhebend feststellen zu können, dass in der langen, zwölfhundertjährigen Geschichte der Stadt und Abtei Echternach immer dasselbe Leitmotiv erklungen ist:
Bitt für uns, Heiliger Willibrord! Wie eine herrliche Weissagung erscheint uns jener Ausspruch des Abtes Thiofrid, der heute, mehr wie je, seine Richtigkeit hat:
„Es kommt alljährlich in der Pfingstwoche, nach ewigem Ritus und gleichsam unauflöslichem und von Geschlecht zu Geschlecht überliefertem Gesetze ein unzähliger Priester- und Volkszusammenfluss mit Opfergaben und Litaneien unter grösster Andacht zu dem Grabe des heiligen Willibrord ! »
Eugen Kiefer 5.Juni 1954 (Revue)
https://infos.rtl.lu/photos-et-videos/la-boite-a-archives/a/1728303.html