In Luxemburg führten also die Nazis die Litfaßsäule ein. Die deutsche Zivilverwaltung hatte nie Mühe, die Säulen zu bekleben. Plakate von allen Größen sollten die Luxemburger dazu überreden, den «Weg heim
ins Reich» zu finden …
Der Gauleiter brachte uns die Litfaß-Säule.
Wenn wir uns heute in unsern Städten die vielen, meist bunten Plakate ansehen, die für kurze Zeit an runden Betonsäulen aufgeklebt werden, so denken wir kaum daran, daß diese Art «Anschlagtafel» noch nicht so lange in Luxemburg besteht. Früher wurden die Mitteilungen der Behörden meist an den Stadttoren angeschlagen. Später setzte sich die Praxis durch, große schwarze Holztafeln für diesen Zweck aufzustellen. Diese Holztafeln gab es auch noch im Jahre 1942 in Luxemburg, und die deutschen Besatzer hatten keine Mühe, die Flächen mit den verschiedensten Mitteilungen zu bekleben. Doch immer wieder kam es vor, daß Plakate, besonders jene der VDB, von den Anschlagtafeln abgerissen wurden. Das mißfiel der deutschen Verwaltung in Luxemburg und am 12. September 1940 verordnete Gustav Simon, der sich als Chef der Zivilverwaltung in Luxemburg niedergeschlagen hatte, daß derjenige «der öffentlich angeschlagene Bekanntmachungen des Chefs der Zivilverwaltung, der von ihm eingesetzten oder sonstigen Dienststellen oder der Volksdeutschen Bewegung abreißt, oder sonst irgendwie beschädigt, mit Gefängnis oder Geldstrafe bestraft werde». Doch trotz aller Drohungen ließen die Luxemburger sich kaum von ihrem Vorhaben abhalten und entfernten, beschmierten oder überklebten die unzähligen Mitteilungen und Verordnungen, mit denen die deutsche Verwaltung sie überschüttete. Aber vielleicht war das auch die Ursache, weshalb Gauleiter Simon ab Mitte des Jahres 1941 in allen Stadtvierteln, auf Plätzen und an Strassenkreuzungen Plakat- oder Anschlagsäulen aus Beton, auch Litfaßsäulen genannt, aufstellen ließ. An freistehenden Anschlagsäulen, so glaubte man wenigstens in den deutschen Amtsstuben, sei es schwieriger Plakate abzureißen als an den Anschlagtafeln. So wurden nach und nach in Luxemburg die Litfaßsäulen aufgestellt. Die aufeinandergesetzten Betonringe konnten eine Höhe von 2,50 bis 3,60 Meter erreichen. Der Umfang betrug zwischen 3,20 und 3,60 Meter.
Diese Plakatsäulen waren eine Idee des Berliner Druckers Ernst Theodor Litfaß (1816 – 1874), der sich dem Plakatdruck verschrieben hatte und der auch später den Plakatsäulen seinen Namen geben sollte. Litfaß beklebte alle leeren Flächen an Berlins Häusern mit seinen Plakaten, denn es bestand keine Verordnung, welche diese Handlung untersagt hätte. Verständlicherweise häuften sich die Beschwerden der Hausbesitzer bei den zuständigen Polizeibehörden. Am 5. Dezember 1854 konnte Litfaß dann mit dem Berliner Polizeipräsidenten einen Vertrag über den öffentlichen Zettelaushang unterschreiben, der ihm das Monopol des Anschlagwesens für Berlin für 15 Jahre sicherte. Die erste Säule von Litfaß war am 1. Juli 1854 in Berlin aufgestellt worden. 150 weitere Säulen wurden binnen kurzer Zeit dort aufgestellt Nach und nach übernahmen auch andere Städte die Idee des Berliner Verlegers.
In Luxemburg führten also die Nazis die Litfaßsäule ein. Die deutsche Zivilverwaltung hatte nie Mühe, die Säulen zu bekleben. Plakate von allen Größen sollten die Luxemburger dazu überreden, den «Weg heim ins Reich» zu finden. Aber dies ist dem Okkupanten, trotz massiver Propaganda, nicht gelungen. Wenn man Anfang des Krieges auch eher achtlos an den Anschlagtafeln vorbeiging, so zwangen einen die Litfaßsäulen doch zu einem gewissen Grad Aufmerksamkeit. In den ersten Septembertagen des Jahres 1942 aber zogen die Plakatsäulen die Aufmerksamkeit der Luxemburger besonders auf sich, als die auf grellem Hintergrund gedruckten Namen der Opfer des Standgerichts bekannt gemacht wurden. Oft haben Familie und Bekannte der Opfer die Hinrichtungen eben an der Litfaßsäule erfahren… Der Bestand von Plakaten aus der Nazizeit in Luxemburg ist beachtlich, und Paul Spang hat durch seine (inzwischen vergriffene) Veröffentlichung «Von der Zauberflöte zum Standgericht Nazi-plakate in Luxemburg» diese Sammlung einem breiten Publikum zugänglich gemacht Doch der Okkupant hatte damals nicht nur die Litfaßsäule in Luxemburg eingeführt Um die Bevölkerung mit Mitteilungen und Informationen auf der Straße zu versorgen, hatte man sich noch etwas besonderes einfallen lassen. Die Presse vom 12. April 1941 wußte zu berichten, «daß, wie in der Adolf-Hitlerstraße nun auch am Haus der VDB zur Großgasse hin ein Lautsprecher in Betrieb genommen worden war, um die zahlreiche Kundschaft in diesem Teil der Stadt mit den sensationellen Nachrichten von dem Siegeszug der deutschen Wehrmacht zu versorgen» …
Heute bringen die Litfaßsäulen einen farbigen Tupfer in die meist verbauten Stadtviertel. Die Kinder benutzen die Säulen zum Versteckspiel ; die Hunde haben sie gleichberechtigt neben Laterne und Baum anerkannt. Nichts zu lachen hatte allerdings der Mann, der in tiefer Nacht, schwer angeschlagen, mit dem Gesicht nach innen, eine halbe Stunde lang tastend um eine Plakatsäule turkelte, sich dann hinsetzte und seufzte : «Entsetzlich, ich bin eingemauert …»
- Guy May
« Unbefugtes Plakatieren ist eine Sachbeschädigung und führt dazu, dass die Kosten für die Entfernung in Rechnung gestellt werden ». ( Echternach, route de Luxembourg) 2020